Paul Müller-Kaempff auf dem Bakelberg, Ahrenshoop

Fünf Jahre stand das Denkmal. Schön da oben. Moritz Götze hatte auf den Bakelberg eine Plastik für seinen Kollegen Paul Müller-Kaempff, den Maler und Begrün- der der Künstlerkolonie Ahrenshoop, gestellt. Ein Denk- mal wie ein Monolith. Überlebensgroß. Ein bärtiger Herr in der Outdoorkleidung des neunzehnten Jahrhunderts, selbstsicher voranschreitend. Mit Regenmantel und Schlapphut, in der einen Hand den Wanderstock, in der anderen ein Bild, auf dem die Steilküste zwischen Wust- row und Ahrenshoop zu erkennen ist.

Der Kunstmaler festgehalten im Moment der Entde- ckung seines Sujets. Der Blick geht prüfend weit über das Land. Nach Norden, wo der Wind herkommt.
Für den kleinen Ort Ahrenshoop waren diese Schritte ein historisches Ereignis. Müller-Kaempff sah in dem Dorf die nachhaltige Idylle. Motive, die in dem Maler und den Schülerinnen seines Ateliers eine sinnliche Empathie erzeugten. Für immer halten Idealisierungen nicht. Sie halten sich nur in Öl auf Leinwand.

Der Bakelberg ist eine Landmarke. Höher geht es nicht. Hier standen immer schon Zeichen, die den Schiffern Orientierung gaben an der schmalen Küstenlinie. Und nichts Menschengemachtes ist dort oben beständig. Es ist zu rau. Eine Stelle, die die Natur freiräumt für den Blick.

Ein Riese schaute über das Land. Ein Denkmal für den Mann, dem Ahrenshoop viel zu verdanken hat, der freiwillig oder unfreiwillig die Corporate Identity für den Ort erfunden hat. Ahrenshoop hat das, was allen anderen Orten fehlt, was jeden Besucher und die Investoren und die hartgesottenen Kulturfunktionäre sentimental werden lässt. Der Ort ist zugeschüttet von Träumen, von Kultur, Natur, Freiheit. Und alles eingequetscht zwischen zwei großen Wassern. Auch wenn auf der Land- straße sich die Autos stauen. Sobald man abgereist ist, verwandelt sich der Ort zurück zum Sehnsuchtsort und nächstes Jahr wird wieder hingefahren.

Dass der Kunstmaler im Jahr 1889 nicht allzu viel von Ahrenshoop vom Bakelberg aus gesehen haben kann, zählt nicht. Das kleine Ahrenshoop wurde erst rund zwei Kilometer weiter sichtbar, auf der Höhe des jetzt nach dem Maler benannten Paul-Müller-Kaempff-Weges. Moritz Götze interessiert nicht der Rundumblick. In sei- nen Bildern bleibt er auf Meereshöhe. Der Strand genügt – und die Horizontlinie des Meeres.

Der Strand als Bühne, als Wohnzimmer, als Lagerfläche, als Fundschicht für freigespülte und angesammelte Artefakte. Ein chaotisches Bilderrätsel. Auf Götzes Stränden liegen die pittoresken Requisiten des Alltags. Was man so braucht zum Leben. Halb eingesunken in einen gelben süßen Puddingbrei. Immer in der gleichen RAL-Farbe. Und statuenhaft die Schaumgeborenen. Badende, die sich geistig und körperlich erneuern. Oder gut angezogene junge Leute, die in gelöster Haltung Dinge mitein- ander bereden. Unaufgeregt sagt man dazu. Am Strand vervollkommnen sie ihre strategischen Sandkasten- spiele. Das sind keine Touristen, die wohnen immer da. In diesem Arkadien ist das gute Wetter beständig.

Der Strand als Ort der Läuterung. Und als absurdes Theater, Komödie, Quatschbühne für Parodie, Unfug und tiefere Bedeutung. Die Geschichten lösen sich auf in ein nicht enden wollendes Frühstück im Freien. Der Himmel ist blau, aber Nichts wirft Schatten. Alles Böse verflüchtigt sich. Bollwerke aus Beton verschwinden in der See, zum Schluss hängen noch ein paar lose Kabel aus dem Steilufer.

Die Bühne, die da permanent bespielt wird, haben ein paar Landschaftsmaler des neunzehnten Jahrhunderts begründet. Dazu gibt es jetzt von Moritz Götze passend das richtige Merchandising-Angebot: die Paul-Müller-Kaempff-Briefmarke, ohne Jahr und ohne Nennwert, aber dadurch besonders zeitlos und rentabel.

Rüdiger Giebler

Zurück
Zurück

Die Corona- und die Computer-Viren. Eine philologische Grille

Weiter
Weiter

Scapa Flow zur künstlerischen Anschauung gebracht